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Rundbrief August 2024

Das Nein zum Nein: Die Absage an das Ego

Margarethe Randow-Tesch

Im Kurs werden zwei fundamentale und scheinbar widersprüchliche Aussagen über das Denksystem des Ego getroffen: 1. dass es bösartig ist und 2. dass es unwahr ist. Doch wie kann etwas, das bösartig ist, zugleich unwahr sein? Oder wie kann etwas, das unwahr ist, zugleich bösartig sein? Offensichtlich geht es: Bösartigkeit und Unwahrheit sind die Kennzeichen von Wahnsystemen. Angesichts des schweren unbewussten Schuldwahns des Geistes, den das Ego darstellt, steht im Kurs die Frage: »Sind Gedanken dann gefährlich? Für Körper ja!« (T-21.VIII.1:1-2).

C.G. Jung schrieb vor 100 Jahren nach der Erfahrung des 1. Weltkriegs: »Man blicke auf all die unglaubliche Grausamkeit in unserer sogenannten zivilisierten Welt; es stammt alles aus menschlichem Wesen und aus dessen geistigem Zustand! Man schaue auf die teuflischen Mittel der Zerstörung! Sie sind erfunden von vollständig harmlosen Gentlemen, von vernünftigen, angesehenen Bürgern, die all das sind, was wir wünschen. Und wenn die ganze Sache in die Luft fliegt und eine unbeschreibliche Hölle der Zerstörung aufreißt, so scheint niemand dafür verantwortlich gewesen zu sein. Es geschieht einfach, und doch ist alles von Menschen gemacht« (Psychologie und Religion, Studienausgabe, Walter Verlag 1971, S. 62).

Das Ego macht uns, die wir an seinen Schuldwahn glauben, auf einer tiefen Ebene angriffsbereit, bösartig und misstrauisch, weil wir draußen das sehen, was wir im Innern für wahr halten. Dennoch starten wir in unserer Wahrnehmung nie den ersten Angriff, sondern fühlen uns zu Unrecht angegriffen. Das ist das »Gesicht der Unschuld«, auf dem die Logik dieser Welt basiert.

Uns fehlt der archimedische Punkt außerhalb des Systems, von dem aus wir das gesamte Egosystem, das Schulddenken des Geistes und seine Welt der getrennten Körper, als wahnhaft einordnen können. Welche Befreiung und Heilung darin liegt zu begreifen, dass wir alle buchstäblich von nichts – einem Wahngebilde - terrorisiert werden! Könnten wir das voll und ganz akzeptieren (mit den Worten des Kurses: die Sühne für uns annehmen), wäre der Geist nicht länger krank. Wir wären sanftmütig und mitfühlend mit uns und anderen, denn ohne Schuld würden wir die Investition in die Welt als Ort sowohl der Gefahr als auch des Glücksversprechens verlieren. Kein Gewinn, kein Verlust. Und dennoch würde der Körper seine Rolle spielen, aber mit einem ruhigen Geist dahinter.

In einer Stelle über Ehrlichkeit, eine der Eigenschaften, die wir im Laufe unserer inneren Entwicklung erwerben, wird diese daher mit Konfliktlosigkeit gleichgesetzt, was voraussetzt, Wahrheit und Wahn voneinander unterscheiden zu können: »Niemand, der mit sich selbst eins ist, kann sich Konflikt überhaupt vorstellen. Konflikt ist die unvermeidliche Folge von Selbsttäuschung, und Selbsttäuschung ist Unehrlichkeit« (H-4.II.2:4-5).

Die Selbsttäuschung und damit verbundene Unehrlichkeit lautet, dass es zwei Wahrheiten gibt: Gott und das Ego. Das spaltet den Geist und hat einen Loyalitätskonflikt zur Folge: die Frage, wem bzw. wem wir treu sein wollen. Wir versuchen, diesen Konflikt zunächst durch einen Kompromiss zu lösen, indem wir zwei Herren dienen und es so aussehen lassen, als wäre es nur einer. Mit anderen Worten: Wir ziehen die Unschuld in die Schuld und machen beide ununterscheidbar. Daher beispielsweise der Glaube, kleine Körper (Kinder) seien unschuldiger als große Körper (Erwachsene) oder Leiden sei ein Beweis von Unschuld. Im Kurs heißt es: »Bestimmte fundamentale Konzepte [Unverletzlichkeit und Verletzlichkeit/ Unschuld und Schuld/ Liebe und Angst] können nicht in Form von Gegensätzen verstanden werden … Sie sind entweder ganz wahr oder ganz falsch. …dein Denken [wird] so lange unberechenbar sein …, bis du dich fest dem einen oder anderen verpflichtet hast (T-3.II.1:2,4). Das heißt: Die echte Unschuld in uns kann nicht leiden und betrachtet niemanden als schuldig. Die Unehrlichkeit hingegen lässt uns glauben, dass wir unsere »Wahrheit« eines verletzten Selbst nicht wollten. Für diesen Fehler brauchen wir Hilfe.

Uns aus der Logik des Wahns zu erlösen und zum Verständnis unserer Freiheit zu verhelfen, damit wir ein anderes Denken in der Welt leben können, ist die Funktion des Lehrers dieses Kurses (des Heiligen Geistes oder Jesu).

Dafür brauchen wir Vertrauen zum Standpunkt dieses himmlischen Psychiaters außerhalb unseres Systems, der nichts fordert, sondern »nur Schmerz von einem kranken und gequälten Geist« [nehmen möchte]. Ist dies nicht willkommen? Ist dies zu fürchten? Oder ist es zu erhoffen, dankbar zu begrüßen und freudig anzunehmen?« (Ü-I.192.6:1-4). Doch Befreiung muss in kleinen, für uns erträglichen Schritten geschehen. Wir brauchen vertrauensbildende Maßnahmen, was für manche Menschen im ersten Schritt eine Therapie bei einem irdischen Therapeuten beinhaltet. Es ist nicht ratsam, voranzupreschen, um am Ende in der Verdrängung zu landen. Das ist eine ungute Eile, die leider manchmal anzutreffen ist, weil sowohl die Angst vor dem Ego als auch die Angst vor Befreiung vom Ego nicht richtig eingeschätzt wird.

Sich des Ego hinter dem Gesicht der Unschuld bewusst zu werden ist ein unerlässlicher, wenn auch unangenehmer Bestandteil des Weges. Um noch einmal C.G. Jung zu zitieren: »Wenn eine Minderwertigkeit [ein Egogedanke, mit dem wir uns identifizieren] bewusst ist, hat man immer die Chance, sie zu korrigieren … Aber wenn sie verdrängt und aus dem Bewusstsein isoliert ist, wird sie niemals korrigiert« (S.93) Um mit dem Kurs zu sprechen: » Er [der Heilige Geist] kann nicht wegleuchten, was du verborgen hältst …Alles, was du ihm gibst, das nicht von Gott ist, ist fort, weil es nie existiert hat. Doch musst du es dir selbst mit vollkommener Bereitwilligkeit ansehen, sonst bleibt seine Erkenntnis für dich nutzlos« (T-12.II.9:8, 10:4-5). Ein entscheidender Schritt in diesem Zusammenhang ist das Verständnis von Projektion. Alles draußen ist Projektion! Die Welt ist ein virtueller Ort, an dem der Geist mit seinen eigenen Wahnvorstellungen interagiert. Auf einer praktische Ebene ist das keine Anleitung zur Verleugnung von Wahrnehmungen und Gefühlen, sondern die Einsicht: Ich erlebe/interpretiere jede Situation im Lichte des Denksystems, das ich für wahr halte: als Ruf nach Schuld und Angriff oder als Ruf nach Heilung.

Um noch einmal C.G. Jung zu zitieren: »Wir sind überzeugt, dass gewisse Leute alle jene schlechten Eigenschaften haben, die wir in uns selbst nicht finden …Wenn man sich jemanden vorstellt, der tapfer genug ist, diese Projektionen allesamt zurückzuziehen, dann ergibt sich ein Individuum, das sich eines beträchtlichen Schattens bewusst ist… Ein solcher Mensch … [kann] … jetzt nicht mehr sagen …, dass die anderen dies oder jenes tun, dass sie im Fehler sind, und dass man gegen sie kämpfen muss. Er lebt in dem „Hause der Selbstbesinnung“, der inneren Sammlung. Solch ein Mensch weiß, dass, was immer in der Welt verkehrt ist, auch in ihm selber ist, und wenn er nur lernt, mit seinem eigenen Schatten fertig zu werden, dann hat er etwas Wirkliches für die Welt getan« (a.a.O., S.101). Sprich: Der selbstgerechte Angriffsimpuls ist gebrochen, und es wird klar, dass niemand Heilung auf Kosten eines anderen erfahren kann. Daher ist das Verständnis von Projektion so zentral, denn wie könnten wir etwas heilen, was wir draußen sehen und nicht als unser Eigenes anerkennen?

Dennoch geht der Kurs in eine andere Richtung als C.G. Jung. Während Jung den Schatten zu einem notwendigen Bestandteil der Wahrheit erklärt und damit die Dualität aufrechterhält, lehrt der Kurs uns, dass der Schatten (das Ego) unsere eigene Selbsttäuschung ist, unser Nein zur Wahrheit. Es kann uns nur so lange quälen, wie wir es bejahen.

Wir alle, die wir uns in der Welt manifestieren, sie für einen objektiven Ort halten und uns einbilden, rationale Wesen mit einem rationalen Urteilsvermögen zu sein, sind der auf den Schuldwahn des Ego fixierte Geist. In dem Maße, in dem wir der stillen Antwort eine Chance geben und ein klein wenig Vertrauen fassen, können wir vorsichtig beginnen, unsere starre Position in Zweifel zu ziehen, die schwere Last unserer Illusionen niederzulegen und das Drama unseres Lebens voll und ganz als unseren Weg zur Befreiung anzunehmen.

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